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Offenes Geheimnis

Published on Thursday, June 4, 2009 10:19:17 PM UTC in Skit

Dieses Post stammt aus meinem Blog "Gebruddel Deluxe" (2008-2010).

Manche Wahrheiten im Leben sind geradezu unerträglich unwahr.

Vor kurzem wollte ich ein 22-seitiges Dokument, das ich vor längerer Zeit selbst erstellt hatte, vom Englischen ins Deutsche übersetzen. Hätte ich damals geahnt, dass mir das bevorstehen wird, hätte ich eine weniger elaborierte Version produziert (was eh missglückt wäre, weil ich ein elender Schwätzer bin). Nunja, jedenfalls hatte ich eine Hand voll Überschriften, ein paar Abbildungen und einige Abschnitte Text vor mir, also nichts Dramatisches - sollte man denken. Während ich bei der Arbeit MS Office zu lieben gelernt habe, benutzte ich bisher privat OpenOffice.org. Dafür gibt es keinen bestimmten Grund, vermutlich habe ich es einfach auserkoren, weil es am bekanntesten unter den freien Paketen ist, und weil man in Notepad keine Inhaltsverzeichnisse generieren lassen kann.

openoffice.png

Zum Übersetzen des Dokuments ging ich schrittweise vor. Ich übertrug den jeweils folgenden Absatz ins Deutsche und löschte dann das englische Original, um sogleich mit dem nächsten Abschnitt fortzufahren. Idiotensicher! Nach etwa der Hälfte bemerkte ich, dass dieses idiotensichere Vorgehen sämtliche Abbildungen völlig durcheinanderwirbelte. Bilder überlappten plötzlich, waren über den Seitenrand hinaus verschoben, Bildunterschriften waren plötzlich in 144 Punkt großer Schrift und fett formatiert und ins Hebräische übersetzt.

Leicht genervt starrte ich auf das Chaos und begann damit, die Bilder herumzuschieben und in die ursprüngliche Ordnung zu bringen. Es war aussichtslos. Zog ich nach links, flutschte es nach rechts, klickte ich oben, driftete alles nach links. Als ich schließlich damit begann, die Bilder Schritt für Schritt aus dem Dokument zu löschen, um sie danach Schritt für Schritt wieder einzufügen, wurde das Fenster der Textverarbeitung plötzlich schneeweiß und hängte sich kurzerhand auf. Beim nächsten Start wurde mein Dokument sauber wieder hergestellt: der übersetzte Text bis etwa zur Hälfte, und darunter die ganzen Abbildungen, die schön alle auf einem Haufen klebten. Übereinander, untereinander, nur nicht nebeneinander - es war ein geradezu unanständiger Anblick, der einem ordnungsaffinen Menschen wie mir die Tränen in die Augen trieb.

Das Spielchen mit den Abstürzen wiederholte sich noch vier Male, bis ich herausgefunden hatte, in welcher Reihenfolge ich wie klicken und speichern musste, um OpenOffice.org nicht abstürzen zu lassen und erfolgreich das wegzuwerfen, was ich kurz darauf wieder einfügen musste.

Als ich das Dokument fertig hatte und einem Bekannten schickte, erzählte ich die Geschichte und schloss mit dem süffisanten Satz, dass Open-Source-Produkte genauso gut abstürzen können wie alle anderen Anwendungen auch.

Nun muss man wissen, dass dieser Bekannte etwas... speziell ist. Er denkt Pinguine seien Fantasy-Wesen, die zum ersten Mal im Volksmärchen "1000 und ein Kernelkompilat" erwähnt wurden, schreibt (und spricht) das Wort "Microsoft" nur mit Dollarzeichen statt 's' und lässt keine Gelegenheit aus überall Sticker anzukleben, auf denen "Jesus würde FreeBSD wählen" steht.

tux.png

Deshalb kam als Antwort unweigerlich der Satz, der bei bei mir jedes Mal beinahe Gehörgangskrebs verursacht: "Ja, aber bei Open Source kann jeder nachsehen, warum es abstürzt."

Wäre es nicht ein Österreicher gewesen, bei denen ich eh immer von einer gewissen geistigen Zurückhaltung ausgehe (hehehe), hätte ich mich direkt in eine kampfeslustige Diskussion gestürzt. Ich stelle mir das so vor: meiner Mutter stürzt beim Tippen der Einkaufsliste OpenOffice.org ab, und deshalb hängt sie sich mal kurz - schwupp - mit dem Debugger dran und gräbt sich durch 7,5 Millionen Zeilen Quelltext in C++, um rauszufinden, was da schiefgeht. "Ahja, die Pointerarithmetik hier sieht mir verdächtig aus", denkt sie sich dann vermutlich, "da werd ich kurz mal einen Bugfix stricken!" Und nach lächerlichen vier Stunden Kompilierung und Test tut sie der Open-Source-Gemeinde etwas Gutes und spielt noch einen Patch für die Allgemeinheit ins Repository. Und schon sind alle froh und haben Blümchensex miteinander!

Open Source ist was Wunderbares (gibt's übrigens auch von Microsoft :D)! Aber gerade dieses eine Argument ist die wahrhaftigste Lüge, die die Welt jemals gehört hat.

Natürlich vertraue ich der Verschlüsselung von TrueCrypt blind. Ist ja Open Source. Kann sich ja jeder persönlich davon überzeugen, dass in den Algorithmen keine Backdoor eingebaut ist (...sofern jeder einen Abschluss in Mathematik und Kryptographie hat...). Ich weiß auch gar nicht, warum ich mich über die Fehler in Mozilla Thunderbird aufrege, die schon seit Jahren vorhanden sind. Ist doch Open Source. Warum behebe ich sie denn nicht einfach selbst? Kann doch jeder reingucken!

Die Wahrheit ist, und das weiß jeder, der sich mit dem Thema mal beschäftigt hat: man kann Tage alleine damit verbringen, den Quelltext eines Open-Source-Projekts erstmal zum Kompilieren zu überreden. Ich könnte da mal erzählen, wie ich in einem harten Winter aus Langeweile über eine Woche hinweg versucht habe, ffdshow zu erzeugen... und wenn man das geschafft hat, dann steht man oft vor mehreren tausend Dateien fremden Codes, die Open-Source-typisch vorbildlich nicht kommentiert sind. In den meisten Projekten gibt es grade mal einen Fresszettel als sogenannte "Dokumentation" für willige Entwickler. Wehe dem, der nicht jahrelange Erfahrung in C und C++ hat, dem droht eh sofortige Erblindung, wenn er mehr als drei Dateien öffnet.

Insofern habe ich darauf verzichtet, den Quelltext von Open Office runterzuladen und stattdessen mein schon länger ungenutzt rumliegendes Microsoft Office 2007 Ultimate installiert :-). Tipp: für Studenten 52 Euro...

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