Offenes Geheimnis 160 Nervenzellen

Datenschutz

Published on Saturday, May 16, 2009 12:34:23 PM UTC in Skit

Dieses Post stammt aus meinem Blog "Gebruddel Deluxe" (2008-2010).

"Hätten Sie vielleicht fünf Minuten Zeit?" - Wenn mir eine solche Frage am Telefon begegnet, schalte ich in meinen berüchtigen Abwimmel-Modus oder lege gleich ohne jeden Kommentar auf. In diesem Fall aber glaubte ich aus der weinerlich-piepsigen Stimme meines Gesprächspartners herauszulesen, dass er seit seiner Geschlechtsumwandlung sämtliche Freunde verloren hat, und um ihm ihr eine Freude zu machen, willigte ich ein. "Bevor wir beginnen", fuhr sie er fort, "müssten wir aus Datenschutzgründen ein paar Informationen abgleichen." Es folgten ein paar wenige hundert Fragen zu meinem Wohnort, Jahreseinkommen, Schuhgröße und zum Datum der ersten Masturbation, die alle eines gemeinsam hatten: ich war absolut unwillig, irgendwas davon zu beantworten. "Warum", drehte ich den Spieß um, "drehen wir den Spieß nicht einfach um? Sie erzählen mir, was Sie für Daten von mir haben, und ich sage Ihnen, ob sie korrekt sind." Mit einer Stimme, der ich einen leichten Spott über meine Unwissenheit zu entnehmen glaubte, antwortete der die Interviewerin: "Aus Datenschutzgründen darf ich Ihnen diese Dinge nicht mitteilen." Aha. Aus Datenschutzgründen verlangt man von mir also die Angabe eines detaillierten Lebenslaufes, während aus denselben Datenschutzgründen jegliche Auskunft darüber verwehrt wird, welche Daten über mich gespeichert sind. "Das müssten Sie schriftlich anfragen", fügte sie er kleinlaut piepsend hinzu. Eine Antwort auf meinen letzten Satz, er sie möge dann bitte doch auch bei mir schriftlich nach meinen Daten anfragen, wartete ich erst gar nicht mehr ab. *klick*

Bei genauerem Nachdenken fiel mir auf, dass der "Datenschutz" in letzter Zeit als Zauberwort dafür dient, jemanden mundtot zu machen, wenn man sich nicht rechtfertigen möchte. Es hat schon beinahe denselben Status erreicht wie "Terrorismus" als Rechtfertigung für alle unbeliebten politischen Entscheidungen. Wer in aller Welt würde schon seine Zusammenarbeit verweigern, wenn es um den Datenschutz geht, wo wir doch alle wissen, dass Daten unser höchstschützenswertestes Gut überhaupt sind? Nun, um es kurz zu machen: ich.

Vor zwei Wochen zum Beispiel war wieder einmal mein Telefonanschluss ausgefallen. Die Fuzzis technischen Experten an der Telekom-Hotline diagnostizierten zielgenau einen defekten Splitter. Oder einen defekten NTBA. Oder beides. Jedenfalls sollte ich einfach in den nächsten T-Punkt marschieren, mir beides besorgen und zu Hause austauschen, und schon könnte ich in vollendeter Glückseligkeit bis zum Sankt-Nimmerleinstag telefonieren.

Im T-Punkt angelangt, händigte man mir nach Erläuterung der Situation auch sogleich ohne große Rückfrage zwei kleine Päckchen aus. Gleichzeitig schob mir die Dame hinter dem Tresen eine Auftragsbestätigung zu, mit der Bitte um Unterschrift. Ich glotzte auf das Blatt Papier, das weder meinen Namen noch Adresse oder Telefonnummer enthielt, und auch die Liste der Auftragspositionen war leer. "Ähhh... aber da steht ja gar nichts drauf?" - "Ja, das ist richtig. Wir sind angewiesen, den Kunden bei solchen Dingen unterschreiben zu lassen...", kam die Antwort, und in der Annahme, dass sie einfach eine Quittung für den Empfang haben wolle, hatte ich schon den Stift angesetzt, als sie noch hinzufügte: "... für den Datenschutz." Sofort hielt ich inne. Aha! Ich blickte die Frau, die eindeutig zu viel Schminke aufgetragen hatte und mich inzwischen an eine Kreuzung aus Backenhörnchen und Seeigel erinnerte, an und fragte nochmal: "Sie möchten also von mir, dass ich eine leere Auftragsbestätigung unterschreibe, aus Gründen des Datenschutzes?" - "Genau!" Das ganze versprach ein netter Nachmittag zu werden. "Was für Daten genau wollen Sie dadurch denn schützen?" Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Sollte die Telekom tatsächlich bei Aufträgen inzwischen auf die Daten ihrer Kunden verzichten, um diese vor sich zu schützen? "Also ähhh...", das Backenhörnchen kam ins Wanken. "Ich meine, was ist daran Datenschutz", bohrte ich nach. "Ähm... der Datenschutz... das ist..." - in den folgenden, peinlichen zehn Sekunden des Schweigens starrte ich sie mit der Miene eines Vollidioten an - "... das ist für den Datenschutz."

Spontan kam mir eine Szene aus dem Film "Lucky Number Slevin" in den Sinn, in der Josh Hartnett in einer ähnlichen Situation seinem Gegenüber sagt: "Ihnen hat wohl niemand erklärt, dass man Wörter nicht mit sich selbst erklärt." Einen Satz, den er mit einer gebrochenen Nase bezahlte. Zwar sah mir der Seeigel nicht besonders angriffslustig aus, aber ich entschied, dass er genug gelitten hatte und verzichtete auf weitere Diskussionen. Kurzerhand unterschrieb ich mit meinem Mädchennamen Georg Friedrich Händel und verließ das Geschäft (unnötig zu erwähnen, dass die Geräte meinen Telefonanschluss nicht wiederbelebten, oder?).

Auf der Straße sagte meine bessere Hälfte: "Das war aber ganz schön gemein, die war doch noch in der Ausbildung." - "In der Ausbildung?" - "Ja, 'Auszubildende' steht auf dem Schildchen, das sie angesteckt hat." Das hatte ich nicht gelesen. Aus Gründen des Datenschutzes.

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