Den Verstand verloren Das große Vergessen

Aktion: Krätze zum Fest

Published on Wednesday, December 24, 2008 2:14:51 PM UTC in Skit

Dieses Post stammt aus meinem Blog "Gebruddel Deluxe" (2008-2010).

Nirgends wird mehr geheuchelt als in der Politik und an Weihnachten.

- Winston Churchill

Wer hat nicht schonmal irgendwo ein Zitat gelesen? Auf Kalenderblättern, Internetseiten oder Toilettenpapier - die Sprüche der klugen Männer finden sich überall. Wer nicht nur flüchtig über so etwas hinwegliest oder gelangweilt weiterblättert oder -klickt, der hinterfragt vielleicht den Sinn der eben gelesenen Aussage oder macht sich seine eigene Einstellung zum Thema bewusst. In seltenen Fällen sollen Zitate bei Lesern schon geistige Erleuchtung oder zumindest Läuterung ausgelöst haben. Niemals aber, wirklich niemals, würde es irgendjemand wagen, ein Zitat in Zweifel zu ziehen. Sie haben sich eine Lebensphilosophie zurechtgezimmert oder einen ihrer Meinung nach brillianten Spruch aus den Fingern gesogen, aber keine Sau interessiert sich dafür? Schreiben sie einfach den Namen irgendeines großen Zampano drunter, und die Menschen werden anerkennend mit dem Kopf nicken oder gar mit bewunderenden "Ah" und "Oh" reagieren, selbst wenn es sich um Profanitäten oder einfach nur geistigen Dünnschiss handelt.

Auf der Bühne des Lebens gibt es keine Proben.

- Fred Astaire

Oder:

Ich habe keinen iPod.

- Gerald Asamoah

Schon haben Sie die Aufmerksamkeit ihres Zielpublikums erlangt! Ebenso wie ich die ihre, mit dem erlogenen Zitat, das ich Herrn Churchill in den Mund gelegt habe. Womit wir endlich zum Thema kommen können: das heuchlerische Weihnachten.

Ist es nicht ein bemerkenswertes Phänomen, wie zu Weihnachten die Bevölkerung in eine Art kollektive Fröhlichkeitstrance verfällt? Im Rausch der Besinnlichkeit vergisst man auch schonmal, dass Nachbar Rösler mit seiner verdammten Klarinette eigentlich ein Vollidiot ist und wünscht selbst dem ein frohes Fest. Und weil das so ist, weil man an jeder Straßenecke mit Liebe überschwemmt wird, weil sich alle Welt in den Armen liegt, verfällt man schnell in leere Floskeln und bedeutungslose Phrasen. Und ebenso wie man selbst wahllos mit gespielter Glückseligkeit um sich wirft, nimmt man auch jene der anderen kaum noch zur Kenntnis. Was ist schon ein Glückwünsch unter tausenden? Wie ein Tropfen Wasser im Meer der Bedeutungslosigkeit. Vermutlich müssen auf einer Postkarte nur einige wenige Signalwörter wie zum Beispiel "frohes Fest" oder "guter Rutsch" stehen, um diese als festliche Glückwünsche zu identifizieren. Ebenso wie Menschen in der Lage sind, probelmlos Tetxe zu lesen, bei denen legdiilch Buhcsatben vertuashct wurden, genügen ein paar wenige Worte, um dem Gehirn zu signalisieren: "Ah, Weihnachtskarte, ab in die Tonne", und schon sind auch die bestgemeinten Wünsche mental abgeheftet. Um diese Theorie zu beweisen, verschickte ich 2004 eine ganz normale Weihnachtskarte mit folgendem Text an alle Freunde und Verwandte:

Ich wünsche Deiner Familie und Dir ein frohes Fett, einen besinnlichen Weihnachtselch und einen guten Rutsch mir doch den Buckel runter 2005.

Gut, von 22 Angeschriebenen antworteten 21 nach wenigen Tagen mit verwirrten Telefonanrufen, erkundigten sich nach meinem Wohlbefinden und fragten, ob ich mal wieder auf Drogen sei (die letzte Karte blieb bis März auf dem Postweg verschollen). Aber ich denke, ich konnte den entscheidenden Punkt herausarbeiten: Weihnachten, so leid es mir tut, rutscht unaufhaltsam in die emotionale Leere ab.

Sollte man nicht ehrlich bleiben und auch in der Adventszeit dem Idioten im Passat, der einem eben die Vorfahrt genommen hat, den Vogel zeigen? Warum blase ich den Proleten in der Weihnachtsmette, die man das ganze Jahr nicht in der Kirche sieht, die aber an Heiligabend die besten Plätze ganz vorne belegen, nicht mal gehörig den Marsch? Ok, vermutlich weil ich in dem Fall auf der falschen Seite des Proletenzauns stehe, aber... gnnnnn!! Oder etwa nicht?

adventsgesteck.jpg

Um Geld zu sparen ein Zeichen zu setzen, betreibe ich das Adventsgesteck vom letzten Jahr

Zum Fest dieses Jahr wünsche ich uns allen etwas mehr Mut zur Frechheit, Unverschämtheit und zum ganz liederlichen Fluchen. Wer sich dabei nicht wohl in seiner Haut fühlt, verteilt die Last einfach auf die Schultern aller. Jeder im Familien- und Freundeskreis übernimmt einen kleinen Teil der Aufgabe. Die Schwester stellt in der Fußgängerzone klar, dass uns das Schicksal fluglahmer Dompfaffen in Kamtschatka einen alten Scheiß interessiert, ein Freund soll jedem auf das "frohe Fest" mit "Du mich auch" antworten, und der Arbeitskollege schnauzt den nächsten Bittsteller an der Haustüre an und erklärt, dass wir garantiert nichts an den Verein zur Hyposensibilisierung von Sonnenallergikern im Senegal spenden, solange in Deutschland noch Menschen in Hauseingängen schlafen müssen (ist es übrigens nicht erstaunlich, wie es die Natur grade so geschickt eingerichtet hat, dass der Rest der Welt immer dann am allernotleidensten ist, wenn bei uns grade Weihnachten ist?).

Erst wenn dieses Beispiel Schule macht und uns der Metzger am Mittag des Heiligabends mit einem "verpiss Dich, ich will auch endlich Feierabend" aus dem Laden wirft, werden wir das eigentliche Wesen des Weihnachtsfestes neu entdecken und ein einfaches "schönes Weihnachten" von einem wirklichen Freund wieder zu schätzen wissen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern zum Fest die Krätze an den Hals, eine grauenvoll trockene Weihnachtsgans auf den Tisch, und einen zünftigen Familienkrach unterm potthässlichen Tannenbaum :-).

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