Das Zellophansalatmysterium
Published on Monday, February 2, 2009 10:24:46 PM UTC in Skit
Dieses Post stammt aus meinem Blog "Gebruddel Deluxe" (2008-2010).
Von Zeit zu Zeit habe ich Erlebnisse, die sich eigentlich nur in die Kategorie "Begegnungen der dritten Art" einordnen lassen. Auffällig oft passieren mir solche Dinge in Kaufhäusern und Supermärkten. Heute beispielsweise entkam ich in der Gemüseabteilung des hiesigen Kauflands nur knapp einem Anschlag auf meinen Verstand.
Ich schlenderte gerade gedankenverloren durch die beiderseits des Weges aufgetürmten Netze von Rosenkohl und Kartoffeln und war noch etwa vierzig Zentimeter vom Eisbergsalat entfernt. Fast berührten meine Fingerspitzen bereits das knisternde Zellophan, mit dem der Eisbergsalat aus unerfindlichen Gründen als einziger Vertreter seiner Gattung immer verschweißt ist, als ich plötzlich von einer... Masse... zu meiner rechten abgedrängt wurde. Ich spreche nicht davon, dass sich jemand zwischen mich und den Salat schob. Vielmehr war es so, dass ich in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung zuerst von einer Welle Stoff, dann schnell von etwas undefinierbar Weichem und doch unerbittlich Bestimmten erfasst und zur Seite geschoben wurde. Es dauerte eine Sekunde, bis ich das Gleichgewicht wiedergefunden und das Stoffknäuel als ältere Dame erkannt habe. Sofort stieg kalter Ärger über mein Fitnessstudio in mir hoch. Wofür quäle ich mich eigentlich alle paar Tage Wochen für mehrere Stunden Minuten, wenn mich so ein Mütterchen einfach durch den halben Verkaufsraum kegeln kann?
Als ich mich Sekundenbruchteile später wieder gefasst hatte, hätte ich alles erwartet, nur nicht das Schauspiel, das sich mir gleich bieten sollte. Eine Entschuldigung vielleicht, ja das wäre angebracht gewesen, oder aber der Anblick einer abgehetzten Person, die es einfach nur eilig hatte. Stattdessen beobachtete ich, wie besagte Person ohne den Blick auch nur einmal von ihrer Beute abzuwenden in aller Seelenruhe einen Salatkopf nach dem anderen hochnahm, etwas knautschte, schüttelte, in die Luft warf, von oben bis unten beschnüffelte und zurück in die Plastikkiste legte. Das ganze ging erstaunlich schnell von statten, und nach lediglich zwanzig Sekunden war der gesamte Kisteninhalt einer beinahe pathologisch anmutenden Untersuchung unterzogen worden. Gerade als ich dachte, dass das Ende der skurrilen Vorstellung erreicht sei, hob die Dame die eben untersuchte Kiste an und schubste sie zur Seite, direkt auf den benachbarten Paprika. Sogleich vollzog sie am Inhalt der darunterliegenden Kiste das gleiche Ritual. Knautschen, schütteln, in den Händen drehen und abschnüffeln. Ungläubig sah ich mich um und erwartete beinahe, eine Menge von kopfschüttelnden Menschen um uns beide herum zu sehen, aber da war niemand. Zumindest niemand, der von diesem Erlebnis auch nur geringfügig interessiert Notiz genommen hätte.
Nach meinem Dafürhalten und aus meinem (zugegebenermaßen suboptimalen) Betrachtungswinkel handelte es sich bei allen betatschten Zellophanpaketen um ganz ordinären Eisbergsalat. In Form, Größe, Farbe und Frisur glichen sich alle mehr oder weniger wie eineiige Zwillinge. Oder eher Achtundneunziglinge, wenn ich richtig gezählt habe. Auch konnte ich mich nicht daran erinnern, jemals einen besonderen Geruchsunterschied zwischen verschiedenen Salatköpfen ausgemacht zu haben, wenn ich mal einen Abend des Sommers 2003 ausklammere, an dem sich mein Hund durch ein Loch im Zaun in den Gemüsegarten geschlichen hatte. Und trotzdem bearbeitete diese Frau nun schon die vierte Kiste Eisbergsalat mit akribischer Genauigkeit, nachdem sie die zweite und dritte auf den Boden neben sich gestellt hatte.
Ich könnte an dieser Stelle nun noch in epischer Breite Vermutungen über die Gründe dieses Verhaltens anstellen und anhand des Äußeren einige Mutmaßungen über die Nationalität der Dame machen, um dann direkt zu einer Analyse der kulturellen Unterschiede in Sachen Salat verschiedener Länder überzugehen. Ich habe mich aber dazu entschieden, es einfach dabei zu belassen, weil ich nur ungern einen falschen Eindruck erwecken möchte. Außerdem haben es Türken schon schwer genug in unserem Land.
Als mir irgendwann schlagartig bewusst wurde, dass es vielleicht peinlich sein könnte, minutenlang auf den Rücken einer salatkopfjonglierenden Frau zu starren, riss ich mich von dem Anblick los und stürmte zurück zu meinem Wagen. Auf dem Weg dorthin griff ich mir im Vorbeigehen einen Kopfsalat.
Ich bilde mir ein, dass er komisch riecht.
Tags: Gebruddel Deluxe · Salatautopsie · Schnüffelfetisch