Was für ein Zirkus
Published on Tuesday, April 4, 2017 4:00:00 AM UTC in Philosophical
Als ich gestern von der Arbeit nach Hause fuhr, sah ich in einem kleinen Städtchen, an einer Straßenlaterne befestigt, das Plakat eines Zirkus. Im Vorbeifahren waren für mich weder der Name des Zirkus zu erfassen, noch die Veranstaltungstage oder der genaue Ort, weil mein Blick einzig und alleine wie fasziniert auf den Preis gerichtet war: "Eintritt 2 Euro" stand da. Zwei Euro! Nachdem ich mich kurz versichert hatte, dass ich nicht versehentlich in der Zeit zurück bis zu den Fünfzigern gefahren war, verbrachte ich die restliche Fahrt - die von diesem Punkt aus für gewöhnlich ziemlich genau neun Minuten und fünfzig Sekunden dauert - damit, über die Wirtschaftlichkeit von Zirkussen nachzudenken.
2017-04-07: Wie sich nach (mehrmaligem) Nachsehen herausstellte, handelte es sich um den hauseigenen Zirkus einer lokalen Möbelhaus-Kette. Vermutlich wird es keinen (Wander-)Zirkus geben, der heute noch zu diesen Preisen agiert.
Die erste Fragen drehten sich naturgemäß um das offensichtlichste am Zirkus: das Zirkuszelt. Wie groß ein solches Zelt wohl ist? Meine Schätzung lag bei mindestens zehn Metern Durchmesser alleine für die Manege; wer mal gesehen hat, welch riesigen Schuhe diese Clowns haben! Die brauchen auf jeden Fall ausreichend Platz zum Rangieren. Die ja beidseitig der Manege vorhandene Tribüne für die Zuschauer dürfte in Summe mindestens nochmal so viel Platz einnehmen, oder eher sogar das eineinhalb- bis zweifache, womit man bei einem Gesamtdurchmesser von gut 25 bis 30 Metern für das ganze Zelt liegt. Gesteht man jedem Besucher eine Sitzfläche plus Fußraum von etwa einem Meter zu, kommt man bei der kleinen Zeltvariante auf etwa sieben Sitzreihen, die sich konzentrisch um die Manege anordnen. Im innersten Kreis, auf dem die Sitze etwa im Durchmesser von zwölf Metern angeordnet sind, erhält man bei einem seitlichen Platzbedarf von 50 Zentimetern pro Sitzplatz insgesamt:
2 * PI * 6m / 0,5m
was (im Kopf gerechnet) etwa
6 * 6m / 0,5m = 72
Plätzen gleichkommt. Das freilich ist eine Milchmädchenrechnung, da man den Platz für Fluchtwege, Eingänge und den Bereich für die Artisten an der Kopfseite der Manege abziehen muss, wofür ich 20% veranschlagt habe. Es bleiben also etwa 58 Plätze übrig. Dieselbe Rechnung für den äußersten Sitzreihenkreis (25 Meter Durchmesser) ergibt ca. 120 Plätze, womit man grob interpolieren kann, dass in jeder Reihe etwa
(120 - 58) / 6 ~= 10
Plätze mehr als in der vorigen verfügbar sind, mithin grob aufgerundet (schließlich hatte ich zuvor ja PI grob abgerundet) also insgesamt
60 + 70 + 80 + 90 + 100 + 110 + 120
= (nach Gauß) 170 * 3 + 120
= 630 Plätze.
Bei vollbesetztem Zelt ergibt das pro Vorstellung Einnahmen von 1260€, plus vielleicht einem kleinen Anteil für Getränke, Popcorn oder ähnlichem. Zwar kann so ein Zirkus durchaus mehrere Vorstellungen pro Tag anbieten, aber gleichzeitig gibt es auch Tage, an denen man mit dem Auf- und Abbau beschäftigt ist oder sich auf dem Weg zum nächsten Veranstaltungsort befindet. Im Schnitt dürften vermutlich kaum mehr als eineinhalb Vorstellungen pro Tag stattfinden, oder in Zahlen ausgedrückt Einnahmen von vielleicht 2500€ den Weg in die Kassen finden.
Meine Schätzung war weiterhin, dass es in einem kleinen Zirkus, in dem die Artisten sicherlich auch diejenigen sind, die sich um die Pflege der Tiere und den Auf- und Abbau aller nötigen Wagen, Zelte und alle weiteren Arbeiten kümmern, gar nicht so viel weiteres Personal gibt als jenes, welches man während der Vorstellung mindestens einmal sieht, mithin als kaum mehr als 10-15 Personen, für die damit brutto zunächst einmal 166-250€ pro Tag zur Verfügung stehen. Dem gegenüber stehen natürlich die Ausgaben für die Pacht von Festplätzen, für Treibstoff und weitere Energiekosten, Futter für Tiere und diverse andere Posten wie den Unterhalt von Fahrzeugen und allgemeine Reparaturen.
Ich war gerade dabei, diese Kosten grob zu überschlagen, als meine Fahrt nach etwa neun Minuten und 44 Sekunden, es war wenig Verkehr, mit dem Erreichen meiner Hofeinfahrt endete. Kurz bedauerte ich, dass mir die Zeit nicht reichte, um die Rechnung zuende zu führen. Und schließlich, als ich ausstieg, fragte ich mich kurz, wie das Leben wohl ist bei Menschen, die im Vorbeifahren ein Zirkusplakat sehen und denken: "Oh, ein Zirkus ist in der Stadt", um sich dann wieder anderen Dingen zuzuwenden.
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