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Runtastic, oder: wie man Kunden vergrault

Published on Saturday, January 13, 2018 2:05:16 PM UTC in User Experience

Runtastic fällt immer mal wieder durch negative Kritik auf, etwa wenn man zahlende Kunden von ihren eigenen Daten aussperrt, bis sie sich einer Zwangsregistrierung unterwerfen. Aber auch abseits gewinnmaximierender Maßnahmen gibt es bemerkenswerte Fehltritte, insbesondere in Sachen Benutzerfreundlichkeit. Mein jüngstes Negativ-Erlebnis dazu ist einen kurzen Artikel wert und kann als Anleitung verstanden werden, wie man am besten seine Kunden loswird.

Schon in der Vergangenheit empfand ich bestimmte Details der zugehörigen App "Runtastic Pro" immer wieder als unverständlich und störend. Ein in meinen Augen gravierender Designfehler etwa ist, dass die Pro-Funktionalität nicht am verwendeten Runtastic-Account festgemacht wird, sondern am verwendeten Gerät. Das führte schon dazu (sicher zur Freude des Anbieters), dass ich die Pro-Version der App mehrfach erwerben musste, etwa beim Wechsel von Windows Phone zu Android. Und auch nach dem Wechsel des Google-Accounts müsste man die App neu erwerben - obwohl es sich stets um denselben dahinterliegenden Runtastic-Account handelt. Nerviger, da wesentlich häufiger vorkommend, ist die Tatsache, dass die App immer wieder unmotiviert die Neuanmeldung mit dem eigenen Account verlangt. Ich nutze keine mobile Anwendung, die das ähnlich tun würde. Selbstverständlich ist das immer dann nötig, wenn man in voller Montur bereitsteht, um seine sportliche Aktivität zu beginnen. Das (zu?) komplexe Passwort kann man natürlich nicht auswendig eintippen, so dass der Gang zum Passwortmanager auf dem Rechner nötig ist. Beliebt ist bei Runtastic auch, vollflächige Hinweise auf die Premium-Abo-Angebote einzublenden, regelmäßig, Tag für Tag - trotz eh schon bezahlter App. Ebenso nervig ist, wenn nach einem Update mal wieder Gadgets wie Pulsmesser, die monatelang klaglos den Dienst verrichtet haben, nicht funktionieren möchten und man minutenlang mit der Bluetooth-Anbindung kämpft.

Genau das ist mir vor einiger Zeit wieder passiert: der Brustgurt verlor nach wenigen Sekunden stets die Verbindung zur App. Nachdem ich einige Minuten lang gekämpft habe, tat ich, was jeder erfahrende Computer-Anwender tun würde: neustarten. Danach, wieder mal: Neuanmeldung mit meinem Account nötig.

Fail-Ratschlag Nummer 1: Eine App sollte regelmäßig den erneuten Login erzwingen. Sicherheit geht über alles. Mit der Tatsache, dass es sich bei einem Smartphone um ein hochpersonalisiertes Gerät eines einzelnen Nutzers handelt, das zudem per Fingerabdruck oder Pin abgesichert ist, argumentieren nur Stümper. Als erweitertes Sicherheitsfeature darf sich die App bei diesem Verhalten auch den Nutzernamen keinesfalls merken. Auch dieser muss jedes Mal neu eingegeben werden. Übrigens auch, wenn sich der Benutzer beispielsweise beim Passwort vertippt. Der Benutzer wird Ihnen das hoch anrechnen, da er damit sein Erinnerungsvermögen trainiert und die Fingerfertigkeit an der Bildschirmtastatur steigert.

Zu meinem Erstaunen war die Anmeldung nicht möglich. Egal, was ich auch versuchte, ich landete immer wieder nur auf demselben "bitte anmelden"-Bildschirm. Mangels Fehlermeldung dachte ich irgendwann an einen gesperrten Account o.ä. und probierte die Anmeldung direkt auf der Webseite des Unternehmens. Das war problemlos möglich.

Fail-Ratschlag Nummer2: Geben Sie niemals Hinweise darauf, was nicht geklappt hat. Details verwirren den Benutzer nur. Hat beispielsweise der Login nicht geklappt, vermeiden Sie unbedingt die Ausgabe jeglicher Fehlermeldung. Stattdessen ist es am besten, wenn Sie den Benutzer kommentarlos auf die ursprüngliche Seite zurückleiten. Er wird es lieben, im Dunkeln zu tappen und es als spielerische Herausforderung sehen, die wahre Ursache für das Problem eigenständig herauszufinden.

Ich legte das Smartphone weg, zog den Brustgurt aus und ging ohne Ausrüstung laufen, nicht aber ohne zuvor eine negative Bewertung im Store zu hinterlassen. Das musste einfach sein, nachdem ich mich geschlagene zwanzig Minuten aktiv mit einer App beschäftigt hatte, die eigentlich als stummer, zuverlässiger Diener nur im Hintergrund tätig sein sollte.

In der Zeit danach versuchte ich die Anmeldung immer wieder, ohne Erfolg. Erstaunlicherweise erhielt ich tatsächlich eine Reaktion auf meine Bewertung, was ich in dieser Form gar nicht erwartet hatte. Direkt im App Store antwortete man mir nach geschlagenen sechs Tagen:

2018-01-12-runtastic-reply-small.png

Ich vermute, dass irgendjemand bei Runtastic diese Art von Antworten für eine tolle Strategie hält. Die Message ist "alles kein Problem, wir können Dir helfen", und damit indirekt auch die suggerierte Botschaft an alle anderen, dass das Problem gar nicht so schlimm sei, die schlechte Bewertung so gar nicht nötig. Für mich persönlich aber steckt im Kern dieser Antwort das Eingestehen vollständigen Scheiterns. Denn:

Fail-Ratschlag Nummer 3: Wenn Sie in Ihrem System eine Fehlfunktion identifziert haben, die es zahlenden Kunden unmöglich macht, Ihr Produkt auch nur zu starten, begehen Sie keinesfalls den Fehler, das Problem mit hoher Priorität zu beheben. Bei einem derart gravierenden Problem erwartet der Nutzer, dass es mindestens ein oder zwei Wochen dauert - enttäuschen Sie ihn nicht! Es genügt, wenn Ihr First-Level-Support die Info herausgeben kann, dass das Problem bekannt ist. Bläuen Sie den Mitarbeitern dort ein, dass keine Hintergrundinfos, Details zum Bearbeitungsstand oder gar Hinweise zur Behebung in die Öffentlichkeit gelangen dürfen.

Bemerkenswert an der Antwort ist auch, dass es unter der angegebenen Adresse http://help.runtastic.com erstmal mitnichten möglich ist, das "Support Team" [sic] zu kontaktieren. Eine Schaltfläche zur Kontaktaufnahme o.ä. sucht man dort vergeblich, stattdessen handelt es sich um die Knowledge-Base des Unternehmens. Die Taktik ist wohlbekannt: um das Support-Aufkommen zu reduzieren, ist es gang und gäbe, es dem Kunden erstmal zu erschweren, Tickets einzuspeisen. Was auf der einen Seite nachvollziehbar ist (man möchte ja nicht wieder und wieder und wieder Trivial-Anfragen beantworten), ist für erfahrene Nutzer, die sich eventuell auch schon um verschiedene Lösungsansätze bemüht haben, ein Ärgernis.

Im konkreten Fall ist es so, dass man mangels Kontaktmöglichkeit (hoffentlich) zunächst damit beginnt, sich durch die Hierarchie an Artikeln zu bewegen. Man selektiert die Kategorie ("Mobile"), dann das Betriebssystem ("Android"), schließlich die Anwendung, um die es geht ("Runtastic", nicht irritieren lassen davon, dass die Pro-Version nirgends auswählbar ist!), und wählt dann aus den zwei Seiten verbleibender Möglichkeiten... hmhmmm... zum Beispiel den Bereich "Anmelden/Abmelden". Wenn man dann noch den erscheinenden, fürs eigene Problem nicht hilfreichen Text ignoriert und ans Ende scrollt, stößt man auf eine unscheinbare Schaltfläche, die auch im Deutschen beschriftet ist mit "Submit request" - herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Eingang zur wundervollen Welt der echten Support-Anfragen gefunden!

Fail-Ratschlag Nummer 4: Stellen Sie keine offensichtlichen Kontaktmöglichkeiten für Ihre Nutzer zur Verfügung. Zwingen Sie sie auf eine Knowledge-Base-Seite mit allgemeinen, nichtssagenden Anleitungstexten, die bei der Problemlösung garantiert nicht weiterhelfen. Verstecken Sie das tatsächliche Kontaktformular vier Ebenen tief vergraben! Es erinnert den Besucher an Ostern! An Ostern haben alle Urlaub! Sie werden es lieben!

Jetzt kommt der spannende Teil: beim Ausfüllen des Anfrage-Formulars, Achtung, darf man dieselben Informationen wie eben nochmal auswählen - grandios! Also nochmal: ich möchte eine Anfrage zur Kategorie "Mobile" stellen, verwende das Betriebssystem "Android", es geht um die Anwendung "Runtastic". Dann, am Ende, kann ich endlich eine Freitext-Beschreibung eintragen. Ich erläutere detailliert, was das Problem ist, und was ich zur Lösung bereits versucht habe, um den typischen Trivial-Antworten hoffentlich direkt den Wind aus den Segeln zu nehmen: Neustart des Handys, Deinstallation und Neuinstallation der App, sogar die kostenfreie Variante habe ich probeweise installiert, um sie zu testen.

Fail-Ratschlag Nummer 5: Zwingen Sie Ihre Nutzer wieder und wieder zu denselben Angaben, auch wenn diese alle Fragen erst Sekunden zuvor beantwortet haben. Sie leiten den Benutzer aus einer hochspezifischen Hilfe-Kategorie auf ein Anfrage-Formular weiter? Lassen Sie ihn alle eben gemachten Angaben erneut auswählen! Für den Nutzer wäre kaum erkennbar, woher Sie seine Absichten kennen. Vermeiden Sie, des Ausspionierens verdächtigt zu werden und vergessen Sie jeglichen Kontext beim nächsten Mausklick.

Als ich alles eingetragen habe, lande ich auf einer Art Dashboard, und als ich dort zwei Support-Anfragen sehe, neben der eben erstellten noch eine weitere, erinnere ich mich: dieses Werkzeug habe ich vor langer Zeit schon einmal genutzt! Interessiert klicke ich auf den alten Ticket-Eintrag, um mir die Details nochmal in Erinnerung zu rufen. Plopp - nach einer kleinen Redirect-Orgie stehe ich wieder auf demselben Dashboard. Wat? Ich probiere es erneut und erneut, kein Erfolg. Also versuche ich, mein eben angelegtes Ticket zu öffnen: nichts. Der Browser versucht die URL aufzurufen, wird ein paar Mal hin- und hergeschickt, und schließlich lande ich wieder auf derselben Seite. Ich versuche einen anderen Browser. Dann noch einen. Und noch einen. Nichts. Kein Ad-Blocker, kein JavaScript abgeschaltet, alles gut. Außer der Support-Seite von Runtastic, da ist gar nichts gut. Dieses letzte Detail ist eine hervorragende Überleitung zu meinem letzten Ratschlag für heute:

Fail-Ratschlag Nummer 6: Lassen Sie Ihre Webseiten von ungelernten Brunnenputzern programmieren. Und schicken Sie die Leute aus der Qualitätssicherung nach Hause. Diese Bauchkrauler kosten eh nur Geld und bringen nichts. So bleibt am Ende mehr Pinke für Sie übrig können Sie Ihren Nutzern Ihr Produkt ein paar Cent billiger anbieten - taugt dann zwar nichts, spricht aber die Geiz-ist-geil-Mentalität super an!

So weit der aktuelle Stand. Ich bin gespannt, ob ich irgendwann mal wieder mit Runtastic laufen gehen kann.

Tags: Fail · Runtastic